Fast jeder kennt es von sich selbst: Die Klausurenphase steht an, doch anstatt sich in seinen Lernunterlagen zu vergraben, schaut man doch lieber die nächste Staffel Brooklyn-99 auf Netflix. Manch eine:r putzt sogar das Bad, um dem Lernen aus dem Weg zu gehen. Hier und da mal den inneren Schweinehund gewinnen lassen und eine unangenehme Tätigkeit aufschieben ist absolut menschlich und hat sogar einen Namen: Prokrastination. Das Wort kommt vom lateinischen Substantiv „procrastinatio“ und bedeutet vertagen oder auf Morgen verschieben.
Nicht jeder Aufschub ist gleichzeitig Prokrastination. Denn manchmal ist es auch sinnvoll, Aufgaben zu priorisieren und verschieben. Kritisch wird dieses Verhalten aber, wenn die Betroffenen unter den Folgen ihres Aufschiebens erheblich leiden oder diese sich negativ auf ihre Zukunft auswirken. Bei Studierenden wären diese negativen Auswirkungen beispielsweise das Verschlechtern von Studienleistungen oder das Verlängern bis hin zum Abbruch des Studiums. Eine Studie aus dem Jahr 2004 von Schouwenburg, Lay, Pychyl und Ferrari zeigt, dass rund 75% der befragten Studierenden in Bezug auf ihr Studium prokrastinieren.
Oft wird Prokrastination als Willensschwäche oder Faulheit abgetan, doch ist das pathologische Aufschieben meist ein Problem der Selbststeuerung. Dies resultiert in vielen Fällen aus einer schlecht ausgeprägten Fähigkeit mit Gefühlen wie Angst oder Freude umzugehen. Prokrastinieren kann also eine Art des Selbstschutzes sein. Denn wer einfache Dinge auf seiner To Do List erledigt, bekommt sofort das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Das fühlt sich anders an, als inmitten seiner Hausarbeit ein paar weitere Absätze zu schreiben, wenn noch der Großteil davon vor einem liegt. Langfristig führen diese Ersatzhandlungen und ihr kurzzeitiger Erfolg zu einer Selbstabwertung, negativem Feedback aus dem eigenen Umfeld oder von sich selbst.
Die Prokrastinationsambulanz der Universität Münster hast sich ausführlich mit der Thematik beschäftigt und einen Selbstest erstellt, der Betroffenen bei einer Einschätzung ihres eigenen Prokrastinationsverhalten helfen kann. Eine konkrete Diagnostik und den Zeitpunkt, an dem man sich Hilfe holen sollte, lässt sich schwer festlegen. Es hängt vor allem von der jeweiligen Person ab, wie sehr sie ihr Aufschiebeverhalten beeinträchtigt und wie stark die Folgen für ihre Leben sind.
Für Teilzeit-Prokrastinierende haben wir zehn Tipps zusammengeschrieben, die euch beim Bewältigen eures Motivationstiefs helfen können:
- Beginne früh genug, um Stress zu vermeiden. Dieser Tipp klingt banaler, als er ist. Viele Studierende beginnen zu spät mit dem Lernen, da sie das Gefühl haben, noch Wochen oder Monate bis hin zu Klausur zu haben. Kurz vor der Klausur kommt dann die ernüchternde Einsicht: Es ist doch mehr Material als gedacht und weniger Zeit bis zur Klausur als erhofft. Wer früh beginnt und schon während des Semesters seine Vorlesungen zusammenfasst, Unterlagen ordnet und sie regelmäßig wiederholt, der:die kann sich in der heißen Phase vor den Klausuren mehr Pausen gönnen.
- Finde heraus, warum du prokrastinierst. „Weil ich keine Lust darauf habe“ ist oftmals nicht die ganze Wahrheit, die hinter dem Aufschieben steht. Hast du die notwendigen Voraussetzungen um die Aufgabe zu erledigen? Kannst du dich an deinem Arbeitsplatz ausreichend konzentrieren? Traust du dir die Aufgabe zu und verfügst über die benötigten Fähigkeiten? Gehst du mit einer positiven Einstellung an die Aufgabe und traust sie dir zu? Wenn du dir diese Fragen beantworten kannst, dann findest du mehr über den Grund deines Aufschiebeverhaltens heraus und kannst an besseren Lösungsstrategien arbeiten.
- Finde dein Motiv und priorisiere deine Aufgaben. Mache dir bewusst, warum du eine Aufgabe erledigen solltest, welchen persönlichen Bezug du dazu hast und wie es dich in deinem Leben weiterbringt. Wenn du bei deiner nächsten Hausarbeit ein Thema wählst, das dich persönlich interessiert, dich weiterbildet und dir spannende Einblicke gibt. Dann schreibst du deine Arbeit nicht, weil du es musst, sondern weil du es willst und es dich voranbringt.
- Zerlege deine Aufgaben in kleine Teilaufgaben. Durch das Angehen von einer Herausforderung in kleinen Schritten, erscheint sie dir nicht mehr als riesige Hürde. Kleine Teilaufgaben kann man nach und nach erledigen, erlebt dabei Erfolge und wird nicht vom großen Projekt eingeschüchtert und abgeschreckt. Außerdem kommt so seltener der Gedanke auf „Das schaffe ich doch nie“ und du kommst einem Ziel nach und nach näher.
- Setze dir ein Tagesziel. Plane deinen Tag im Voraus und setze dir realistische Ziele. So kannst du weniger Ausflüchte suchen und hast dennoch genug Zeit für dich selbst. Ein realistisches Tagesziel hilft dir auch dabei, am Ende des Tages mit einem positiven Gefühl ins Bett zu gehen und am nächsten Morgen wieder motiviert zu starten.
- Lege dir Routinen fest und setze dir Fristen. Im Studium sieht oft jeder Tag anders aus, da Vorlesungen auf unterschiedlichste Zeiten fallen. Besonders im Online-Semester hat sich das noch verstärkt, da nun selbst entschieden werden kann, wann eine Vorlesung angeschaut wird. Dies ermöglicht Studierenden große Freiheiten, kann aber durch die mangelnde Routine zum Nachteil werden. Wenn dir Routinen im Alltag helfen, dann schaffe sie dir selbst, indem du dir feste Zeiten zum Aufstehen, Lernen und für Freizeitaktivitäten setzt. Außerdem ist das Setzen von Fristen hilfreich, solange du diese realisierbar gestaltest und dich daran hältst.
- Belohne deine Erfolge. Sich für kleine Teilerfolge zu belohnen, sorgt für eine positivere Einstellung gegenüber der Aufgabe. Anstelle dich erst nach dem Fertigstellen einer Hausarbeit zu freuen und dich durch jede einzelne Seite zu quälen, freust du dich über deinen Fortschritt. Das sorgt für kurze Zeitabstände zwischen Arbeitsaufwand und Erfolg und motiviert zum Weitermachen.
- Finde heraus, wann deine Leistungsphasen sind. Menschen unterscheiden sich stark in ihren Leistungsphasen. Während die einen am Morgen besonders fit und leistungsfähig sind, fällt den anderen das Arbeiten zur späten Stunde leicht. Beobachte dich einige Tage und finde heraus, wann du am produktivsten bist. In diese Zeiten solltest du deine schwierigen Aufgaben legen und in den weniger produktiven Phasen leichtere Aufgaben. Außerdem kann es hilfreich sein, besonders unangenehme Aufgaben zuerst zu erledigen, damit diese nicht wie eine graue Gewitterwolke über einem hängen.
- Gönne dir eine Auszeit. Kleine Pausen sind wichtig, um dich wieder konzentrieren zu können. Hole dir ein Glas Wasser, mache einen kurzen Spaziergang, streck dich… Aber auch eine längere Pause ist absolut vertretbar. Versuche nicht durchgehende Leistungsfähigkeit zu erzwingen, manchmal muss man auch erst den Kopf wieder freibekommen, um motiviert und konzentriert weiterzuarbeiten.
- Teile deine Lernziele und -fortschritte mit anderen. Niemand muss alleine durch die Klausurenphase gehen. Deine Ziele und Erfolge zu teilen sorgt dafür, dass sie verbindlicher werden und man sich eher daran hält. Bilde also eine Lerngruppen, teile deine Ziele und Erfolge mit anderen und tausche dich mit ihnen über Tipps aus.
Auch unserer Universität ist das Aufschiebeverhalten mancher Studierenden bewusst. Auf Ilias bietet sie unter „Schulungsangebot für Studierende“ Kurse zum Thema Selbstreguliertes Lernen und Zeitmanagement an. Außerdem kann sich bei schwerwiegenden Fällen an die PBS Psychologische Beratungsstelle gewandt werden.
Verfasst von Ines Hickl