von Chiara Kuch
Triggerwarnung: In diesem Artikel werden sensible Inhalte rund um psychische Erkrankungen bis hin zu Suizidgedanken thematisiert.
Studieren zu Corona-Zeiten – die letzten Semester waren für uns alle herausfordernd und hatten durch den veränderten Studienalltag massive Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Studierenden. Auch generell hat das Bewusstsein für mentale Gesundheit in der Gesellschaft deutlich zugenommen. Über diese Thematik hat unsere Redakteurin Chiara am 19.11.2021 mit Dr. Andreas Steimer, dem Leiter der Psychologischen Beratungsstelle (kurz PBS) des Studierendenwerks Mannheim gesprochen. Die folgenden Informationen gehen daraus hervor und spiegeln, wie er die Situation an der PBS wahrgenommen hat.
Die vergangenen drei Semester an der PBS…
…waren laut Dr. Steimer durch die Corona-bedingt erschwerte Arbeit auf jeden Fall deutlich anstrengender als zuvor. Nach anfänglichem Rückgang der Beratungsnachfrage während der 1. Welle und dem 1. Lockdown, wandten sich zunehmend mehr Studierende im Laufe der Pandemie an die PBS, deren Nachfrage schon vorher sehr hoch war. Die anfängliche Delle in der Nachfrage steht vor allem im Zusammenhang mit dem noch frühlingshaften Wetter zu diesem Zeitpunkt, das ein Kompensieren und Ausgleichen der schwierigen Situation ermöglichte. Viele hatten außerdem Hoffnung, dass es bei diesem Lockdown bleibt, sind zu den Eltern gefahren und waren durch die vorlesungsfreie Zeit weniger ausgelastet. Mit dem zweiten Lockdown im ersten richtigen „Corona-Winter“, also seit Beginn des HWS 2020, gab es dann eine stetige Zunahme an Beratungsanfragen und an merklicher Belastung der Studierenden. Nicht nur für die PBS bzw. die Studierenden in Mannheim ist dies zu verzeichnen, auch einige Studien belegen die massive Zunahme psychischer Probleme und Erkrankungen in der Gesellschafft. Die hohe Belastung, massive Kontaktbeschränkungen und vor allem die Ungewissheit zum Thema „Impfen“ führten zur Zunahme von akuten Krisen. Die Pandemie ist nicht nur für PBS, Studierendenwerk, Uni und Studierende, sondern auch gesamtgesellschaftlich eine riesige Herausforderung. Trotzdem sind Studierende, deren massive Beeinträchtigung der Lebensqualität und Verschlechterung der Studienbedingungen in der öffentlichen Debatte lange Zeit deutlich zu kurz gekommen, insbesondere bezüglich der Wichtigkeit von Präsenzveranstaltungen. Auch direkt an der Uni Mannheim wird der Beratungsbedarf verstärkt wahrgenommen. „Das betrifft beispielsweise die Spurwechselberatung, an die man sich wenden kann, wenn man Studienzweifel hat und über einen Studienabbruch nachdenkt“, so Alexandra Theobalt, Leiterin der Koordinationsstelle Studieninformationen.
Die Statistik der PBS verzeichnet…
…aktuell (2021) einen Anstieg der Zahl der Neuaufnahmen um über 10% im Vergleich zu 2019 vor Corona, die vorher schon auf hohem Niveau war.
…einen Anstieg in der Gesamtsitzungszahl um ca. 20%.
…eine Verlängerung der Warteliste auf bis zu 70 Personen und damit den Anstieg der Wartezeiten von 2-3 Wochen auf 5-6 Wochen.
Probleme, die im Zusammenhang mit der Pandemie verstärkt auftreten
Die erschwerten sozialen Kontakte führten zu Einsamkeit und gefühlter Isolation der Studierenden, insbesondere bei Singles, bei denen das Kennenlernen und Dating erschwert war und der Wunsch nach Partnerschaft sich in der Einsamkeit verstärkte. Gerade in der Anfangszeit waren bei Studierenden auch Sorgen vor Ansteckung und um die Gesundheit vulnerabler Angehöriger und Freunde besonders stark ausgeprägt. Im letzten Jahr plagten viele Studierende auch Zukunftsängste, Sorgen um Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft und die berufliche Perspektive. Vielen Studierenden wurden auch Praktika und Auslandsaufenthalte abgesagt. Bei Betroffenen waren depressive Symptomatiken stärker zu spüren mit Symptomen wie Antriebslosigkeit, Interessenverlust, Niedergeschlagenheit bishin zu akuter Suizidalität. Auch Lernprobleme spielten in der Beratung eine große Rolle, gerade in der Anpassung an die digitale Lehre hatten Studierende häufig Konzentrationsprobleme, Probleme mit Zeitmanagement oder litten unter Prokrastination. Hierfür hat die PBS in Kooperation mit der Uni Mannheim das E-Learning-Programm „Selbstreguliertes Lernen“ zu verschiedenen lernrelevanten Themen entwickelt (Motivation, Konzentration, Studieren im Home-Office, etc.). Die 10-30 min langen Videos mit Tipps, wie man mit diesen Herausforderungen und Themen umgehen kann, erreichten erstaunlich hohe Aufrufzahlen. Am 30.11.2021 um 16 Uhr wird es auch einen digitalen Impulsvortrag im Rahmen der Virtuellen Anlaufstelle des Studierendenwerks geben, in dem die PBS sich, ihre Arbeit und Tipps zum Umgang mit Prokrastination vorstellt. Der Impulsvortrag wurde bereits über die Social Media-Kanäle des Studierendenwerks und die Studierendenwerks-App beworben (www.facebook.com/stw.ma www.instagram.com/studierendenwerk_mannheim, StudiPlus²®-App für Android, StudiPlus²®-App für iOS ). Eine Anmeldepflicht gibt es nicht, im Vorhinein können Fragen gestellt werden. Häufig führten Leistungsprobleme zu Selbstwertproblemen der Studierenden, die häufig die Erklärung dafür in sich selbst suchen. Durch die häufige Rückkehr der Studierenden zu den Eltern nahmen auch familiären Konflikte und Probleme zu. Außerdem waren finanzielle Probleme fundamental (Wegfall Studijob, Verlängerung Studium etc.). Dr. Steimer betont vor allem die verstärkte Betroffenheit von internationalen Studierenden. Diese seien umso mehr angewiesen auf Studijobs und hätten während der Pandemie noch einmal größere Schwierigkeiten, Kontakte zu knüpfen.
Neue Faktoren der Arbeit an der PBS
Um die Ausbreitung zu verhindern, wurde die persönliche Beratung auf das Minimum beschränkt und findet in der Regel mit Maske und weiteren Schutzmaßnahmen wie Luftreiniger statt. Um trotzdem weiterberaten zu können, wurde als Alternative recht früh mit Video- und Telefonberatung begonnen, eine andere Art der Beratung, bei der manche Methoden vor allem in der Anfangszeit nicht möglich oder zumindest deutlich eingeschränkt waren. Hierfür musste erst neu gelernt werden, auch im Rahmen begrenzter Möglichkeiten per Video und Telefon qualitativ hochwertig zu beraten. Dies ist gut gelungen, erwies sich aber als deutlich anstrengender als persönliche Gespräche. Neben dem neuen E-Learning-Kurs und virtuellen Vorträgen wurde das gesamte Studierendenwerk auch auf Social Media aktiver und baute digitale Angebote aus, beispielsweise fanden Kooperationen mit dem AStA bspw. im Rahmen der „Mental Health Week“ statt.
Tipps und Maßnahmen zur Vermeidung mentaler Probleme im Zusammenhang mit Corona
Auf der Homepage der PBS finden sich dazu 10 Tipps in Zeiten von Corona. Grundsätzlich rät Dr. Steimer, fürsorglich zu sich selbst zu sein. Es sei wichtig, sich gerade in diesen Zeiten gut um sich zu kümmern, Ansprüche und Ziele an die Situation anzupassen und sich Leistungseinbußen nicht zu stark persönlich anzulasten. Eine Lösung hierfür wäre beispielsweise, Prüfungen einmal zu schieben und sie dann zu einem anderen Zeitpunkt schreiben, an dem man etwas leistungsfähiger ist. Stattdessen könnten die zeitlichen Kapazitäten zur Selbstfürsorge genutzt werden – also gut mit sich umzugehen und aktiv etwas für das eigene Wohlbefinden zu tun (z.B. regelmäßige Bewegung, bewusste Zeit in der Natur, leckeres Essen gönnen, Achtsamkeitsübung machen, etc.). Es lohnt auch, sich Dinge, die man bisher als hilfreich empfunden hat, wieder vor Augen zu führen, sich also zurückzubesinnen, was schonmal geholfen hat, die Krise durchzustehen. Auch der Austausch mit anderen kann auf hilfreiche Ideen bringen. Daneben empfiehlt der Leiter der PBS Apps zum Thema Achtsamkeit und Entspannung zu nutzen oder als „Notfallkoffer“ eine Liste aufzuschreiben, mit Dingen, die das Leben für einen persönlich etwas erträglicher machen. Natürlich kann man auch zur PBS in die Beratung kommen und sich auf diesem Wege unterstützen lassen. Dr. Steimer ermutigt, sich in diesem Fall möglichst schnell zu melden und von der längeren Wartezeit nicht abschrecken zu lassen. Als einziges Kriterium hierfür reiche das Gefühl, überlastet zu sein und Hilfe im Bereich „mentale Gesundheit“ zu brauchen. Die PBS versucht dann, so schnell wie möglich zu helfen oder ggf. weiterzuvermitteln.