(Simon Krause)-Mit dem Gefühl, das Richtige zu tun, bestaunen Anna und ihre Mitstreiter*innen den Berg an Lebensmitteln, der sich vor ihnen auftut. Ihre Jutebeutel griffbereit, machen sie sich direkt ans Werk: Lebensmittel retten, die zwar nicht mehr verkauft werden können, aber noch genießbar sind – das ist die Mission der „Foodsaver“ Mannheims. Dabei geht ihre Idee über den reinen Kampf gegen die Verschwendung von Essen hinaus: Die Foodsaver*innen teilen die geretteten Lebensmittel innerhalb ihrer Gemeinschaft, der „Foodsharing Community“. In Mannheim gibt es bereits über 500 Essensretter*innen, vier von ihnen dürfen wir heute begleiten.
Es ist Donnerstagabend und wir befinden uns auf dem Hinterhof eines großen Supermarkts der Region. Wenn hier allabendlich das Geschäft schließt und innen die Regale leer geräumt werden, dann beginnt für Anna und die Anderen die Arbeit. Kistenweise stapelt sich das Essen vor uns. Schätzungsweise 30 kg Obst und Gemüse, Backwaren und Milchprodukte sind in diesem Markt heute nicht verkauft worden und können nicht mehr verkauft werden wegen optischer Mängel bei den frischen Produkten und des Überschreitens des Mindesthaltbarkeitsdatums bei den abgepackten Waren. Normalerweise landen alle diese übrig gebliebenen Lebensmittel in der Mülltonne – eine unerträgliche Vorstellung für die wackeren Foodsaver*innen. Darum packen sie nun sorgfältig und mit Bedacht ihre grauen Jutebeutel voll.

Die Foodsaver*innen handeln aus Überzeugung und mit Leidenschaft. „Foodsharing ist eine Möglichkeit, im eigenen Leben etwas zu verändern ohne zu großen Aufwand“, sagt die Politikstudentin Anna, die seit einem halben Jahr Foodsaverin ist. Bei ihrem Engagement geht es ihr darum, im Kleinen einen Beitrag zu einem großen Ziel zu leisten: „Ich finde es extrem traurig, dass auf unserer Erde Menschen verhungern und die Umwelt unter Monokulturen leidet, wir aber trotzdem so verantwortungslos mit Essen umgehen und so viel wegschmeißen. Wenn wir als Foodsaver*innen dabei helfen können, das zu verändern, dann wäre schon viel erreicht.“
Mittlerweile sind die Beutel vollgepackt und wir lassen den Hof des Supermarkts hinter uns. Mit dem Fahrrad geht es jetzt zur nächstgelegenen Verteilerstation, den sogenannten „Fair-Teilern“. Dort können Foodsharer*innen das von den Betrieben abgeholte Essen hinbringen, aber auch Privatpersonen können dort Essen abgeben, das sie nicht mehr brauchen. In Mannheim gibt es insgesamt fünf dieser Verteilerstationen, einer davon befindet sich Büro des AStA der Universität (L9, 7) und wird von Annas Team betreut. In einem großen Regal stapeln sie dort die Lebensmittel. Da gerade der Nachschub eingetroffen ist, setzen sie schnell online einen Post in der Foodsharing- Gruppe ab, um die Community zu informieren.

Foodsharing ist in Mannheim schnell zu einer großen Sache geworden und sehr beliebt insbesondere bei jungen Leuten. Neben den 515 Foodsaver*innen gibt es 28 teilnehmende Betriebe, die regelmäßig überschüssige Ware zur Verfügung stellen. „Bisher konnten wir bei 6.310 Rettungseinsätzen über 130.000 kg Lebensmittel retten. Ich finde, das kann sich sehen lassen“, ist Anna stolz, dass durch den Einsatz der Foodsaver*innen so viel Essen der Mülltonne gerade noch einmal entronnen ist. Auch für die Betriebe entsteht so ein Mehrwert, denn nicht immer gelingt es ihnen, die Nachfrage nach ihren Produkten richtig abzuschätzen. So bleibt selbst bei guter Kalkulation oftmals etwas übrig, das sich zwar nicht mehr verkaufen lässt, aber zum Wegschmeißen zu schade ist.
Trotzdem passiert genau das nach Ansicht von Anna noch viel zu häufig. Das Foodsharing-Netzwerk Deutschland schätzt, dass jährlich ca. 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden – eine schier unfassbar große Menge, deren Einkauf im Handel annähernd 25 Milliarden Euro kosten würde. Um von diesem Berg an verschwendeten Lebensmitteln herunterzukommen, appelliert Anna an jede*n Einzelne*n: „Ich denke, wir sollten alle bewusster konsumieren, uns beim Einkaufen fragen, ob wir das wirklich alles essen, was wir kaufen, und vielleicht auch mal die Sachen nehmen, die demnächst ablaufen.“
Ihr ist wichtig zu betonen, dass jeder beim Foodsharing mitmachen kann: Alle Interessierten können einfach bei den Verteilerstationen vorbeigehen und sich etwas mitnehmen oder bei Foodsaverinnen und Foodsavern direkt zu Hause abholen. Auf www.foodsharing.de oder in der Facebook -Gruppe „Foodsharing Mannheim“ wird stets aktuell angezeigt, was es gerade wo gibt. Wenn man selbst Foodsharing-Mitglied werden möchte, um direkt bei den Betrieben Essen abzuholen, muss man sich auf der Website anmelden und die eigene Verlässlichkeit durch einige Probeabholungen beweisen.
Das Foodsaving macht Anna und den anderen Aktiven außerdem persönlich Spaß. Über die Gruppe sind viele Freundschaften entstanden und auch zu den Ladenbetreiber*innen pflegen sie eine gute
Beziehung. Oftmals ergeben sich aus dem Engagement der Foodsaver*innen angeregte Gespräche darüber, was die Verantwortlichen in den Geschäften tun können, um die Verschwendung von Lebensmitteln bestmöglich zu vermeiden.
Ihnen ist das persönliche und ehrenamtliche Engagement sehr wichtig, aber sie setzen sich auch für eine gesellschaftliche Veränderung ein. Ein Vorbild hierfür könnte Frankreich sein, wo es den Supermärkten und Restaurants seit einiger Zeit gesetzlich verboten ist, überschüssige Lebensmittel wegzuschmeißen. Stattdessen müssen sie gespendet werden. Für einen solchen Ansatz plädiert Anna auch in Deutschland.
Anna und die anderen vier haben es eilig, sie müssen nun weiter. Vor ihnen liegen heute Abend noch ein weiterer Supermarkt und eine Großbäckerei, die ihnen überschüssige Lebensmittel gemeldet haben. Wir verabschieden uns. Während langsam die Nacht anbricht, treten Anna und ihre Mitstreiter*innen ihren nächsten Rettungseinsatz gegen die Lebensmittelverschwendung an. Ihre Mission ist noch nicht beendet.
Ein Gastbeitrag von Simon Krause (aw)