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Ukrainisch-deutsche Studentin teilt ihre Gedanken und Gefühle

von Anna

Der 24. Februar 2022 wird uns allen als dunkler Tag in der Geschichte Europas in Erinnerung bleiben. Nachdem der russische Präsident Putin seit November 2021 mit dem Einmarsch in die Ukraine drohte, überschreiten russische Gruppen an diesem Tag die Grenze zur Ukraine. Seitdem steht die Welt auf dem Kopf und durch die ständigen Entwicklungen und die Fülle an Informationen, gesellt sich zum Gefühl der Hilflosigkeit auch das Gefühl der Überforderung. Für uns alle ist die Situation schockierend und belastend, jedoch können nicht ukrainische Bürger*innen in Deutschland den Schmerz, den Betroffene erleben, nur ansatzweise nachempfinden. Wir als Basta finden es daher wichtig, genau diesen Betroffenen Student*innen unter uns, eine Stimme zu geben.

Die Studentin Anna mit Wurzeln in der Ukraine, die auch immer noch Familie vor Ort hat, hat sich dazu bereit erklärt, ihre Gedanken mit uns zu teilen:

Bevor ich anfange, über meine persönlichen Eindrücke der letzten Tage zu berichten, wollte ich mich herzlich bei der Basta bedanken. Genau durch solches Mitgefühl und diese Hilfsangebote können wir unsere heutige Situation ein Stückchen leichter machen. Die Welt gerade hat sich für jede*n von uns verändert und wir alle waren fassungslos über die Neuigkeiten an diesem Donnerstagmorgen. Nach wie vor sind wir geschockt von den Bildern, Videos und Nachrichten, die minütlich auf Smartphone auftauchen und jede*r von uns fragt sich, wie kann das unsere Realität sein?

Meine ganze Familie kommt aus Charkiw, Ukraine, der Stadt direkt an der Grenze zu Russland, in der Ostukraine. Dadurch hat meine Familie einen unglaublich starken Bezug zu der Stadt und zu dem Land, in dem sie aufwuchsen und all die typischen alltäglichen Sachen erledigten, die wir gerade auch tun. Deshalb ist das Thema zurzeit umso schmerzvoller.

Das Land faszinierte mich schon immer, es war immer ein Teil von mir, tief in mir verankert. Ich lernte russisch, da meine Eltern aus einer Großstadt kommen, die nahe an Russland liegt. In der Sowjetunion war es üblich, russisch in dem zugehörigen „Gebiet“ zu sprechen. Doch vieles veränderte sich, nachdem die Ukraine unabhängig wurde. Diese Veränderung lässt sich nicht leicht in Worte fassen, aber ich versuche es mal zu verdeutlichen: Als ich noch sehr jung war, war ich in der Ukraine und sah sehr viele „Überbleibsel“ aus der Sowjetunion. Für mich, einem in Deutschland aufgewachsenen Kind, war diese Welt sehr anders. Doch als ich dann nach der Annexion der Krim und den Maidan-Protesten wieder einmal in die Ukraine reiste, verliebte ich mich in dieses Land. Ihr könnt es euch vielleicht nicht vorstellen, aber die Ukraine liebt seine Freiheit und lebt diese auch in vollen Zügen aus. Die Liebe zur Demokratie, seiner Kultur und seinem Volk ist stark und das Land blühte wortwörtlich auf. Kiew, eine wundervolle Stadt, war vom Duft der Freiheit erfüllt. Menschen, die glücklich miteinander liefen und sich stets gastfreundlich und hilfsbereit zu anderen Menschen äußerten, lebten ihr Leben jeden einzelnen Tag, so wie wir es gerade tun. Vielleicht dachtet ihr euch, dass nach der Annexion der Krim das „Russisch-Sprechen“ in der Ukraine eine schlimme Sache war. Wenn ja, dann irrt ihr euch gewaltig! Das ukrainische Volk liebt seine Sprache- ukrainisch ist nicht das Gleiche wie russisch, sondern ähnelt eher polnisch. Da meine Eltern aus einer Zeit stammen, in der russisch sprechen ein Muss war, lernte auch ich als erstes russisch. Doch damals auf meiner Reise in Kiew wurde ich herzlichst begrüßt von den dort lebenden Menschen und auch jetzt kann ich mich immer noch mit Ukrainer*innen auf Russisch unterhalten und es ist kein Problem.

Warum ich euch jetzt so viel über die schönen Erinnerungen an die Ukraine erzählt habe, liegt daran, dass ich euch zeigen will, wie unglaublich schön die Ukraine eigentlich ist. Viele Menschen setzen zurzeit die Ukraine direkt mit dem Krieg gleich und denken an verwüstete Städte und verletzte Menschen. Nehmt euch doch vielleicht jetzt etwas Zeit und schaut mal, wie die Ukraine vor dem Krieg aussah.

Doch nach dem Krieg veränderte sich alles. Mein Leben veränderte sich in kurzer Zeit so sehr, ich realisiere es oftmals selbst noch nicht. Die ersten Nächte waren schlaflos und getrieben von Gedanken an den Krieg und an die schlimmen Ereignisse, die sich gar nicht allzu weit von uns abspielen. Total gestresst und zu Beginn stets schlecht gelaunt, sitzt man die ganze Zeit am Smartphone und checkt die neuesten Nachrichten. Man will nicht nur auf dem neusten Stand der Geschehnisse bleiben, man schaut rund um die Uhr, ob seine Familie noch am Leben ist oder nicht. Und ehrlich, ich wünsche das wirklich keinem. Die Zeit verging. Ich lenkte mich ab mit der Organisation von Spendenaktionen. Ich lenkte mich ab, indem ich versuche jedem meiner Familienmitglieder und Freunden*innen beizustehen. Aber natürlich war ich für jede*n in meinem Umfeld weniger da, denn ich konnte nicht mehr mit dem „normalen“ Leben weitermachen und war ständig in Gedanken.

Zurzeit versuche ich, wie viele andere ukrainische Studierende, zurückzukehren in das „normalere“ Leben. Allerdings wird man oft zurückgeworfen. Allein schon durch den Fakt, dass man um 23:00 Uhr angerufen wird, weil deine Nummer von Bekannten an andere Flüchtlinge weitergegeben wurde, die gerade keinen Schlafplatz haben und dringend einen brauchen. Irgendwo in Polen oder an der deutschen Grenze. Die jemanden brauchen zum Übersetzen, aber auch einfach jemanden zum Beruhigen und zum Versichern, dass man in Sicherheit ist. Leider ist das oftmals nicht so leicht für beide Seiten.

Bevor ich diese traurigen Eindrücke mit etwas positiveren beenden möchte, wollte ich noch ein Thema ansprechen: Nicht alle Russen*innen unterstützen Putins Angriffskrieg. Ich kenne unglaublich viele Russen*innen, die sich gegen sein skrupelloses Regime währen. Da kann ich euch nur von einer Freundin von mir aus Sankt Petersburg erzählen, zu der ich leider seit einigen Tagen gar keinen Kontakt mehr habe und die immer schon aktiv gegen das Regime demonstriert hat. Ihr könnt euch vielleicht denken, was mit ihr passiert sein könnte.  Aber leider – und das leider muss ich unterstreichen – gibt es unglaubliche viele Putinbefürworter*innen hier in Deutschland. Es ist erstaunlich, wie so viele Menschen auch mit Zugriff auf neutrale Medieninhalte weiterhin jede seiner Taten befürworten und allem glauben können, was die russische Regierung behauptet. Ich habe schon zu Personen aus meinem Bekanntenkreis in Deutschland keinen Kontakt mehr, weil sie die grausamen Taten in der Ukraine leugnen. Ich sehe genügend Autos, auf denen mit Klebband ein „Z“ klebt, um die Befürwortung der sogenannten „Spezialoperation in der Ukraine“ hier in Deutschland zu signalisieren. Und auch vor ein paar Tagen wurde ich beim Spaziergehen mit einer ukrainischen Freundin von einer russischsprechenden Person beleidigt und angeschrien, weil ich ukrainisch gesprochen habe. Das ist erschreckend und traurig. Es ist traurig, wie unglaublich gespalten das russische Volk auf der ganzen Welt ist.

Ich bin nichtsdestotrotz positiv eingestellt. Ich sehe, wie viel Resonanz das Thema findet, ich sehe, wie viele Menschen überall auf der Welt auf die Straße gehen und für den Frieden demonstrieren. Ich sehe, wie viele Menschen spenden, Flüchtlingen helfen, sie sogar bei sich aufnehmen Wie viele Menschen verschiedene Hilfstätigkeiten ausüben, wie beispielsweise das Beibringen der deutschen Sprache. Allein wie viele Menschen sich mit diesem furchtbaren Angriffskrieg auseinandersetzen, zeigt mir, dass die Menschheit vereint ist im Streben nach Freiheit und Frieden. Ich bin sehr dankbar für an Jede und Jeden von euch, die sich einsetzen, um zu helfen! Ihr seid unglaublich.

Auch die Universität Mannheim, besonders die Professoren*innen und Dozierenden, waren wirklich sehr hilfsbereit. Ihre Unterstützung bei den Spendenaktionen und für ukrainische Studierende ist dankbar aufgenommen worden. Innerhalb der Universität Mannheim werden viele Hilfstätigkeiten organisiert, also bitte bleibt informiert! Wenn ihr wollt und könnt, spendet, protestiert gegen den Krieg, unterstützt Flüchtlingsorganistationen. Es kann schon damit anfangen, dass wenn ihr das nächste Mal am Bahnhof seid, und ukrainische Flüchtlinge seht, diese mit einem Lächeln zu begrüßen und ihnen möglicherweise Helfen, beispielsweise bei der Gleissuche für ihre Weiterfahrt.

Danke, dass ihr euch Zeit genommen habt!

Verlinkt findet ihr eine Liste mit aktuellen Spendenaktionen für die Ukraine in Mannheim.

https://asta-uni-mannheim.de/unkategorisiert/hilfe-fuer-die-ukraine/

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